copyright: ethnologisches museum, dahlem

meiner kunstgeschichten zehnter teil

im ethnologischen museum, berlin-dahlem.

ich phantasiere:

in vielen einsamen nächten töpferte diesen krug ein weiser mann für seine verstorbene frau.

er wählte die form eines kruges, denn dieser war hohl und somit frei für die unendlichkeit.

luft ist in dem krug und um ihn herum. luft, die auch der mann geatmet hat.

der krug hat facettenartige ausbuchtungen. jede ausbuchtung steht für ein von seiner frau gelebtes leben. wege sind auf einer jeden ausbuchtung zu finden. immer verschieden und doch in ihrer grundstuktur sehr ähnlich.

unser auge kann im detail nur jeweils einen lebensweg chronologisch entziffern. präsent und in ihrer vollen vielfalt enfaltet sind hingegen alle und zu jeder zeit. nur so können sie das halten, was den hohlraum bildet: die essenz.

durch die hülle, das material des kruges, gibt es eine spaltung zwischen dem aussen, der welt und dem innen, für ihn: die seele seiner frau.

woran er sich erinnern kann, das sind die facetten, der ton, den er nun mit seinen händen formt.

es ist sein bild. seine form.

seine frau, sie steigt daraus hervor.

copy right: ethnologisches museum, berlin-dahlemmeiner kunstgeschichten neunter teil

im ethnologischen museum, berlin-dahlem.

ich phantasiere:

lazy bum, hedonistischer freund. die arme von sich gestreckt, die augen geschlossen, ein selbstloses sich der lust ergeben. lust an der freude, lust am schmerz, lust am erleiden, die lust, dem schicksal willenlos zu erliegen.

geschehen lassen: ein zweischneidiges schwert, das hier durch die anwesenheit der zwei vögel symbolisiert wird. während der eine vogel fürsorglich liebend die brust zu berühren scheint, saugt der andere in voller gier und freude die letzte energie aus dem betroffenen.

lazy bum liegt faul und platt am boden. heute froh, morgen traurig, wie der wind weht. lazy bum flattert durch winde und treibt von ufer zu ufer, bewusstlos und aufgegeben.

meiner kunstgeschichten achter teil

im ethnologischen museum, berlin-dahlem.

ich phantasiere:

er sitzt.

die schatten der vergangenheit hinter ihm. verschwommen.

auf seinem gesicht ein lächeln.

geduld.

die augen sind offen und doch in sich gekehrt.

die zeit, die vergeht, der weg, der sich bahnt, beides kann er nur im innern sehen.

die hände halten seinen kopf, ihrerseits aufgestützt auf seinen knien. es ist eine zärtliche geste. sie gibt seinem geist halt und eine zuckersüsse sinnlichkeit.

die zehen sind aufgestellt. seine sitzhaltung ist energievoll entspannt.

was sieht er?

was hat er vor?

geduld drückt schon ein morgen aus.

diese kleine figur, lechem, nimmt aktiv am geschehen “zeit” teil. und dadurch, dass er die zeit plastisch durchlebt und sich ihr hingibt, hebt er ihre begrifflichkeit auch wieder auf und entzerrt sie jeglicher historie.

lechem wurde als symbol für das “fest des guten weges” geschaffen und sollte den stadtwaisen in ihrer morgentlichen meditation hoffnung und ruhe bereiten.

meiner kunstgeschichten siebter teil

im ethnologischen museum, berlin-dahlem.

ich phantasiere:

es ist eine figur, die für die alljährlichen november-rituale gefertigt wurde.

dieser kleine, runde in sich gefestigte mensch symbolisiert die erntezeit und unsere verbindung zur natur.

zeichnungen von samen umringen seinen leib, früchte bis hin zu den vollen blüten kurz vor ihrem vergehen. er wird von ihnen umarmt sowie auch er sie in seine arme nimmt. der kreis ist geschlossen, die totale einheit geschieht.

doch, es ist eins, in der natur zu sein und mit ihr zu verschmelzen, körper neben körper.

gnomus, so nenne ich die figur, verspeist auch die früchte, die ihn umgegeben. dieser intime akt, die völlige verinnerlichung der welt, ritualisiert seine abhängigkeit und seinen teil im kreis des universums.

gnomus‘ augen sind weit aufgerissen. im gegensatz zu der pflanzenwelt scheint er sich seiner symbiose bewusst. die pflanze, die gedeiht und wächst in stiller zuversicht der sonne entgegen. gnomus‘ körper hat diese selbstverständlichkeit und ihren trieb behalten, im geist jedoch ist er sich seiner trennung zur natur bewusst, symbolisiert durch den zaun in der mütze, und nur durch einfühlung, d.h. einverleibung, und demut wird er wieder im garten edens aufgenommen.

gnomus meditiert, mutiert in seiner haltung selbst zu einer frucht und erfreut sich, erstaunt und bewusst, der allumrundenden lebensenergie.